‚Die Dosis macht das Gift‘, heißt es in der alten Heilkunde. Auf den Salzwiesen des einzigartigen Naturbadestrandes Hilgenriedersiel wäre der hohe Salzgehalt im Boden für normale Landpflanzen giftig. Mit cleveren Strategien haben die dort heimischen Pflanzen ihre Nische zum Überleben gefunden. Der Hilgenriedersiel ist die einzige Naturbadestelle im unter Unesco Welterbe gestellten Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer. Die typischen weißen Sandstrände sind künstlich angelegt, aufgeschüttete Bilderbuchstrände, die nichts mit der natürlichen Vegetation zu tun haben. Deshalb stellt der Hilgenriedersiel Naturbadestrand eine Besonderheit weltweit dar.

Der Naturstrand mit seiner bizarren Abbruchkante ist eine Augenweide für all jene, die sich an dem Gewöhnlichen Queller, dem Strandflieder, der Strandquecke, Strandbeifuß und auch dem Strandwermut erfreuen wollen. Mit wachem Auge können dort wahre Überlebenskünstler entdeckt werden. Die sogenannten Halophyten sind so gut an das Leben im Salz angepasst, dass sie ohne eine bestimmte Konzentration an Salz gar nicht lebensfähig wären. Je nach Höhenniveau können drei verschiedene Zonen beobachtete werden, in denen das Meer sich mal mehr, mal weniger weitreichend bewegt. Da die Salzwiesen eine Art Übergangsbereich zwischen Watt und Festland darstellen, sind sie von Ebbe und Flut geprägt. In der Pionierzone steht täglich zu jeder Flut das Wasser, in den unteren Salzwiesen steht das Wasser bis zu 300 Mal im Jahr und in den oberen Salzwiesen dehnt sich die Flut nur bis zu 70 Mal im Jahr aus. Jede Flut bringt neue Sedimente mit. Die feinen Schwebeteilchen sinken ab und lassen die Salzwiesen einen Zentimeter pro Jahr wachsen.

Mithilfe der Evolution haben sich die dort wachsenden Pflanzen an die besonderen Umstände angepasst. Es haben sich zwei übergeordnete Strategien entwickelt, wie die pflanzlichen Organismen mit dem hohen Salzgehalt umgehen. Es gibt jene, die das Salz wieder ausscheiden – Salzausschließer. Und es gibt Pflanzen, die das Salz zu gewissen Teilen in sich aufnehmen – Salzanreicherer. Die Anreicherer können das Salz aber auch nicht uneingeschränkt aufnehmen, da Salz ab einer gewissen Dosis giftig wirkt. Auch sie müssen es irgendwann ausscheiden. Entweder entledigen sie sich des Salzes, indem sie es in einem Blatt anreichern, welches sie irgendwann abschmeißen. Oder die Pflanze scheidet das Salz über Drüsen kontinuierlich aus. Die Salzausschließer haben hingegen Wurzeln entwickelt, die die Salzzufuhr von vornherein verhindern. Diese Strategie wenden Gräser am liebsten an.
Bei genauerer Betrachtung fallen auch noch Sukkulenten auf, die einen weitere Weg gefunden haben, dem Salz zu entkommen. Sie wachsen einfach so schnell, dass sich das Salz durch den schnellen Zellwachstum automatisch verdünnt.

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